FORVM » Print-Ausgabe » Jahrgänge 1968 - 1981 » Jahrgang 1980 » No. 319/320
Jana David

Kriegel: Wie ein galizischer Jude

die Ehre der Nation rettete
Frantisek Kriegel und seine treuen Begleiter von der Staatssicherheit.
Diese scheuten die Mühe nicht, ihn bis zum Totenbett zu begleiten

Frantisek Kriegel wurde am 10. April 1908 in Stanislaw (Galizien) geboren. Bereits während seines Medizinstudiums in Prag engagierte er sich in der kommunistischen Bewegung. 1936-39 beteiligte er sich als Truppenarzt auf seiten der Republikaner am spanischen Bürgerkrieg, ging dann nach China, um im Krieg gegen die Invasion der Japaner als Arzt zu arbeiten. Heute steht sein Name im Pekinger Revolutionsmuseum auf einer Gedenktafel.

Nach 1948 war er in der CSSR im Gesundheitsministerium tätig. In den fünfziger Jahren wurde er aller Funktionen enthoben und politisch verfolgt. Anfangs der sechziger Jahre, wieder rehabilitiert, ging er als Berater der Castro-Regierung nach Kuba. 1964 wurde er zum Mitglied des Zentralkomitees der KP der CSSR gewählt, später zum Abgeordneten der Nationalversammlung.

Er war einer der Vorkämpfer des Prager Frühlings. Während der Verhandlungen in Cierna nad Tisou wurde er von seiten der Sowjetführer antisemitisch angerempelt: „Galizischer Jude“, nannte ihn abfällig der ukrainische Parteichef Schelest. In Moskau war er dann nach dem Einmarsch der Sowjets der einzige, der die Zustimmung zur Okkupation nicht unterschrieb.

Im Zuge der „Normalisierung“ wurde er schrittweise aller Funktionen enthoben, aus der KP ausgeschlossen und verlor schließlich seinen Arbeitsplatz als Primararzt eines Krankenhauses. In den letzten fünf Jahren war er ständigen Polizeischikanen ausgesetzt: die Korrespondenz wurde kontrolliert und beschlagnahmt, sein Telefon abgehört, Abhörgeräte in der Wohnung plaçiert. Die Bewacher verließen ihn nicht einmal am Krankenbett, als er mit einem Herzinfarkt im Spital lag.

1977 gehörte Kriegel zu den ersten Unterzeichnern und Aktivisten der Charta 77. Zu einem Skandal kam es bei seinem Begräbnis — es fand nicht statt. Kriegel starb am 3. Dezember 1979 im Krankenhaus am Karlove namesti. Laut „Anordnung von höherer Stelle“ durfte das zuständige Bestattungsinstitut nichts unternehmen; es lehnte alle Ansuchen der Angehörigen um ein Begräbnis ab und setzte einen Termin am 6. Dezember 1979 um 7 Uhr früh in einem Krematorium außerhalb von Prag fest. Die Witwe lehnt ab, teilzunehmen, da unter diesen Bedingungen eine Trauerfeier nicht zu organisieren war.

Der Journalist Jiri Ruml schreibt: „Es ist nicht wahr, daß das Begräbnis.von Dr. med. Frantisek Kriegel am 6. Dezember 1979 stattfand. Wahr ist, daß eine öffentliche Trauerfeier für F. Kriegel unmöglich gemacht wurde und der Leichnam zu einer unbestimmbaren Stunde eingeäschert wurde. Eine amtliche Bestätigung liegt bis jetzt nicht vor.“ (Listy 1/1980)

Am 6. Dezember suchte der Direktor des Bestattungsdienstes der Stadt Prag die Witwe auf und entschuldigte sich für „das bedauerliche Mißverständnis“.

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Erstveröffentlichung im FORVM:
Juli
1980
, Seite 19
Autor/inn/en:

Jana David:

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